Es ist ein bisschen so, als würde man nach einer langen Zeit einen alten Freund wiedertreffen. Erst freut man sich riesig, dann bringt man sich auf den neuesten Stand und zum Schluss stellt man fest, dass sich eben doch ein paar Dinge geändert haben.
Zunächst sind es vielleicht nur ganz subtile Feinheiten. Der erste, oberflächliche Eindruck. Das Format, der Aufbau. Dann fallen dir einzelne Wörter auf, die er verwendet und die du noch gar nicht an ihm kanntest.
Plötzlich der Schreck: Er überlegt, sich einen neuen Spitznamen zuzulegen. Der alte hätte doch eigentlich gar nie richtig gepasst. Obwohl du, höchstpersönlich, ihn dir ausgedacht hattest.
Und weiter: Er hätte sich irgendein neumodisches, dir völlig unverständliches Hobby zugelegt.
„Das ist modern, sowas macht man heutzutage. Das wollen die Leute.“
Moment mal, hätte er dich vorher nicht um Erlaubnis fragen können? Wart ihr früher nicht immer genau einer Meinung? Was war mit dem Pakt eurer unerschütterlichen Freundschaft, diesem Gefühl, dass sich niemand je zwischen euch drängen kann?
Es ist nämlich so: In der ganzen, langen Zeit, in der du dich anderen Dingen gewidmet hast, hat dein alter Freund begonnen, ein Eigenleben zu führen. Er hat neue Bekanntschaften geknüpft und die wiederum haben ihn geprägt.
Dabei habt ihr so viele gemeinsame Stunden, vielleicht Jahre, miteinander verbracht. Du dachtest, du würdest ihn in- und auswendig kennen. Und vor allem, dass du derjenige bist, der am besten weiß, was dein alter Freund will und was gut für ihn ist.
Fehlanzeige.
Drei Jahre ist es her, dass ich den ersten Satz der „Sommerkinder“ geschrieben habe. In der Zwischenzeit habe ich schon mehrmals geglaubt, ich wäre fertig mit ihm. Dass es nichts mehr zu sagen gäbe. Lange habe ich rein gar nichts mit ihm zu tun gehabt, habe mich frei gemacht für neue Ideen und neue Bekanntschaften.
Und jetzt, wo ich schon aufgegeben habe, in der heutigen Welt noch einen Verlag zu finden, hat es schließlich doch geklappt. Was bedeutet, dass ich mich auf einmal wieder mit meinem alten Freund konfrontiert sehe und so viel Zeit wie schon lange nicht mehr mit ihm verbringen darf.
Hello again. Aber diesmal von einer anderen Seite.
Die Seiten sind nämlich bereits vollgeschrieben und müssen nur noch überarbeitet werden. Und dabei wird deutlich, dass ich nicht die einzige bin, die ihre Spuren hinterlässt.
Plötzlich gibt es Leute, die deinen alten Freund mit neuen Augen sehen und die seine Schwachstellen aufdecken. Etwas, wozu du in all deiner Liebe gar nicht im Stande warst. Aber es bringt nichts, die Augen davor zu verschließen, dass dein alter Freund tatsächlich Fehler und Schwächen hat. Dass du sie ihm womöglich sogar beigebracht hast. Sei lieber froh, dass es Menschen gibt, die deinem alten Freund trotzdem eine Chance geben und die bereit sind, ihn auf seinem Weg der Besserung zu unterstützen. Und wenn du ein guter Freund bist, dann wirst auch du ihm dabei zur Seite stehen. So, wie das ABFFLs eben tun.
Oder ein Autor, der sein Manuskript ins Lektorat gibt.
Und eine Sache hast du womöglich nicht bedacht: Nicht nur dein Manuskript hat sich verändert. Du selbst hast es auch getan.
Du bist in all der Zeit nämlich auf ganz natürliche Art und Weise gealtert. Du hast neue Leute kennengelernt, neue Situationen erlebt und Dinge gesehen, die deine Sicht womöglich ein kleines bisschen verrückt haben. Und damit siehst auch du anders auf deinen alten Freund.
„Was, das fanden wir früher einmal cool? Wer macht denn heute noch sowas! Und woher stammt eigentlich dieser alberne Ausdruck?“
Denn du selbst hast dir mittlerweile schon längst ein neumodisches Hobby gesucht, weil man das eben heutzutage so macht. Und weil es dir gefällt.
Ich bin froh, dass mir neue Leute dabei helfen, Altes aufzuräumen und zu sortieren. Als würde ich Kisten für einen Umzug packen und dabei immer wieder über emotionale Fundstücke stolpern, von denen ich nicht weiß, welche ich aufheben soll. Ich brauche eine neutrale Person, um Unwichtiges von Wichtigem trennen zu können.
Und dann, aus irgendeiner Ecke, irgendeinem letzten Abschnitt, zerre ich unvorhergesehen etwas hervor, worüber ich schmunzeln muss. Etwas, das ich nicht hergeben will, weil es meinen alten Freund und mich eben miteinander verbindet.
Dann musst du einschreiten. Dein alter Freund muss schließlich nicht perfekt sein. Eigentlich mochtest du ihn doch immer wegen seiner kleinen Schwächen.
Und alte, peinliche Spitznamen werden nie ihre Bedeutung verlieren.
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