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  • AutorenbildLilian Kaufmann

It's a match - Über Roman-zen und die Mathematik der Entscheidungsbäume

Aktualisiert: 12. Juli 2018


Is it a match?

Auf die Frage „Was interessiert dich?“ mit „viel“ zu antworten, ist zwar kurz und bündig, aber irgendwie unentschieden. Immerhin ist es wahr: Vieles ist schließlich interessant.

Wer ein Buch schreiben möchte, der tut sich sicherlich leichter mit Themen, die ihn interessieren oder besser noch, die ihn begeistern. Was mich persönlich angeht, so ist eines dieser Themengebiete auf jeden Fall die Medizin in all ihren Facetten. Aber auch die Medizin bietet verschiedenste Gebiete, potentielle Handlungsstränge und Charakterentwicklungen. Interessieren könnte mich vieles, aber deswegen weiß ich noch lange nicht, wie ich aus all diesen Möglichkeiten am besten ein vielschichtiges Buch zusammenbasteln soll.

Damit befinde ich mich aktuell in der berüchtigten und wohl verzwicktesten Phase, die jeder Autor und Hobby-Schreiber früher oder später durchlaufen muss.

Und zwar die, in der man gar nicht schreibt.

Die Phase der Ideenfindung, des Testens, der Planung. Sie kann stimulierend, aber auch sehr frustrierend sein. Man hat keinen Halt, keine sichere Richtschnur, keinen Hafen. Man schwimmt in einem offenen Meer aus potentiellen Ideen – man ist Single. Schlimmer ist es, wenn man gerade erst frisch aus einer intensiven Buch-Beziehung kommt. Wenn man womöglich mehrere Jahre damit verbracht hat, eine Geschichte zu vollenden, die einem sehr ans Herz gewachsen ist und man das letzte Kapitel erst kurz zuvor abgeschlossen hat.

Auch ich habe ein solches Herzens-Manuskript hinter mir, habe es wieder und wieder überarbeitet, und fühle mich endlich bereit für etwas Neues. Ich schwimme – mal wirkt es so, als hätte ich mich in seichtes Badegewässer begeben, mal ist es der bodenlose Ozean. Verschiedene Strömungen fließen durch meinen Kopf, die Gedanken sprudeln und sind im nächsten Moment schon wieder versiegt. Drei Buchideen dümpeln in meinem Gehirn wie bunte Bojen, ohne, dass ich weiß, auf welche ich zusteuern soll. Jetzt gilt es also, sich zu entscheiden und herauszufinden, welche Idee am ehesten passen könnte. Jeder, der ein Buch schreibt, muss pausenlos Entscheidungen fällen, eine nach der anderen. Problematisch ist das vor allem dann, wenn man so wie ich zur ständigen Unentschlossenheit neigt. Entscheidungen werden aufgeschoben, in der Zwischenzeit plansche ich lieber weiter. Schon damals, im Matheunterricht, mochte ich die verzweigten Wahrscheinlichkeitsbäume der Stochastik nicht besonders. Wie wahrscheinlich ist es, dass die eine Idee besser passen wird als die andere? Vielleicht wird man auf seinem Weg auf eine Sackgasse treffen, vielleicht muss man dann wieder ganz von vorne anfangen. Oder sollte man besser von Anfang an mehrgleisig schreiben, eine Ménage à trois wagen?

Schritt für Schritt bewegt man sich nach vorne und stellt sich an jedem Knotenpunkt des Entscheidungsbaumes dieselbe Frage: Ist es ein Match? Swiped man wieder nach links oder doch endlich auch mal nach rechts? Auf Tinder sind es die Bilder, die uns in Sekundenschnelle zur Entscheidung zwingen sollen. Ich im Anzug, ich beim Sport, ich im Kreise meiner erlesenen Freunde, ich im Freizeit-Look, ich, völlig natürlich, ehrlich und unverstellt wie nach dem Aufstehen. Vielleicht findet sich in der Beschreibung noch irgendein lustiger oder philosophischer Spruch, der die Entscheidung weiter eingrenzen wird, oder, noch deutlicher: Suche ONS. Eine Buchidee präsentiert sich selten so klar und vorhersehbar. Gut möglich, dass sie nichts weiter wird als ein kurzer Flirt, eventuell versteckt sich hinter ihr aber auch eine langjährige Roman-ze. Oder womöglich sogar die Lebensliebe. Die eine große, die man nie vergessen wird. Der Roman, den man tief im Herzen schon immer hatte schreiben wollen, die Idee, die perfekt zum Autor und seinem Schreibstil passt. Aber wie findet man das heraus? Man kann einer Buchidee keine konkreten Fragen stellen, wie etwa: Woher kommst du? Was machst du so am Wochenende? Beziehungsweise, falsch: Man kann schon. Aber beantworten muss man sich die Fragen immer selbst. Den Entscheidungspfad geht man alleine.

72.820 Neuerscheinungen überschwemmten den Deutschen Buchmarkt allein im Jahr 2016.

So viele Wege sind schon gegangen, so viele Ideen schon bis zum Ende durchdacht worden. Und wo – in diesem endlosen Durcheinander, dieser Flut aus Druckbuchstaben – steckt sie nun: Die eigene, unverwechselbare Geschichte?

Ene mene Miste, es rappelt in der Bücherkiste.

Ganz besonders schwierig kann es werden, wenn man zuvor schon einmal glaubte, das eigene Thema bereits gefunden zu haben. Das ist das Problem: Als Autor kann man nur schwer eine dauerhafte Bindung zu einem einzigen Buch eingehen. Selbst die Lebensliebe muss irgendwann Platz im Regal machen, wenn sie nicht möchte, dass ihr Erschaffer zu einer Eintagsfliege verkümmert. Keine Zeit für Eifersüchteleien. Ideen gibt es viele, der Single-Markt ist groß. Andere Bücher haben schließlich auch schöne Wörter.

Vielleicht sollte man einfach genau wie bei einer Beziehung keine Vergleiche anstellen. Weder daran denken, was die anderen haben noch, was man selbst gehabt hat. Freimachen für Neues, den Kopf leerpusten und mit neuer Energie den Pfad erklimmen.

Die hohe Kunst ist sicher, vom Anfang bis zum bitteren Ende alles ganz genau durchzuplanen. Jede einzelne Frage im eigenen Kopf selbst zu beantworten und so lange zu bohren, bis man die gesamte Buchidee glasklar vor Augen sieht – völlig natürlich, ehrlich und unverstellt, wie nach dem ersten Aufschlagen. Sodass man ganz sicher weiß, ob sie zu mehr taugt als nur zu einem kurzen Tête-à-texte. Anfänger sind da vielleicht ungeduldiger. Es fehlt die Erfahrung, alle Schritte im Kopf vorherzuplanen. Leichter ist es, einfach mal drauflos zu schreiben und zu sehen, was dabei herauskommt. Kann man sich in die Charaktere hineinfühlen? Wird man mit der Story wirklich warm? Ein Anfänger stürzt sich eher in ein ungewisses Abenteuer.

Aber vielleicht sollte man es auch hier wie mit einer Beziehung halten: Wer schon zu Beginn nur das Ende vor Augen hat, der wird sich nie richtig auf etwas einlassen können.

In diesem Sinne mache ich mich mal an die Arbeit. Meine drei Buchideen warten bereits darauf, ausgetestet zu werden. Die Ménage à trois ist reizvoll, auch wenn ich weiß, dass sie nur von kurzer Dauer sein wird. Jetzt muss ich mich nur noch entscheiden, welchen der drei Prologe ich zuerst schreiben soll.


Wohin des Weges? Wenn nicht mal Google Maps den eigenen Pfad kennt, muss man sich etwas einfallen lassen.

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